Reden allein reicht oft nicht

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Erziehungsberatung

Zur Bedeutung von persönlicher Begegnung in der Beratung

In den letzten Jahren hat die Nutzung digitaler Medien in der Gesellschaft stark zugenommen, die Corona-Pandemie hat die Umstellung auf neue Kommunikationswege sowohl im privaten als auch im beruflichen Bereich beschleunigt. Das hat auch Vorteile, beispielsweise spart eine Videokonferenz Zeit, Geld und Energie. Diese Entwicklung zu mehr digitalen Begegnungen betrifft nicht nur Wirtschaftsunternehmen, sondern auch soziale Institutionen wie Beratungsstellen, therapeutische Praxen, etc..

Bei der Suche nach Unterstützung können ratsuchende Familien eine Fülle von digitalen und persönlichen Beratungsangeboten entdecken. Diese unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Verfügbarkeit, der zeitlichen und räumlichen Flexibilität, der Kosten und der Beziehungsgestaltung voneinander. Manche Menschen benötigen erst einmal etwas mehr Zeit, um sich auf ein persönliches Gespräch einzulassen, hier ist es hilfreich, sich zunächst durch digitale Angebote herantasten zu können und um dann zu schauen, in welcher Weise man Beratung nutzen möchte.

Grundsätzlich haben die letzten drei Jahre gezeigt, dass trotz Pandemie, Masken und Ansteckungsgefahr persönliche Beratungsangebote weiterhin sehr gerne in Anspruch genommen werden, denn sie haben sowohl für die Ratsuchenden als auch für die Fachkräfte häufig eine andere Qualität. Besonders der persönliche Kontakt in einem geschützten Raum bietet die Möglichkeit für einen vertrauensvollen Beziehungsaufbau, denn in der persönlichen Begegnung fällt es beiden Seiten leichter nonverbal mitzuschwingen. Die Verfassung des Gegenübers und die Stimmung, die im Gespräch entsteht, kann besser wahrgenommen werden, das Gespräch gewinnt an Tiefe, wenn Nachdenken, Schweigen oder auch Weinen zugelassen und ausgehalten werden - und natürlich gibt es in der persönlichen Beratung auch Raum für Humor, Entlastung und Ermutigung.

Beratung bedeutet nämlich nur teilweise ein Gespräch über ein Thema zu führen oder Fragen zu stellen und „Tipps“ zu erhalten. Ratsuchende bringen häufig Themen mit, über die sie bereits nachgedacht, gelesen, gesprochen, diskutiert oder gestritten haben, sei es innerhalb ihrer Familie oder im Austausch mit anderen Stellen. Trotz des Wissens oder Verstehens auf der rationalen Ebene kommt man manchmal scheinbar nicht weiter. In solchen Momenten kann die persönliche Beratung einen Raum zum Innehalten und zur Selbstreflexion bieten, in dem häufig mehr stattfindet als „nur“ Reden. Denn Reden alleine reicht oft nicht. Im persönlichen Setting bieten sich ergänzend andere Methoden an, die einen direkten Zugang zu den eigenen Gefühlen und widersprüchlichen Anteilen ermöglichen und die zu einem Perspektivenwechsel sowie neuen Einstellungen oder Verhaltensweisen führen können. Bei Kindern können mit Hilfe von therapeutischem Material, Gefühle und Wünsche verdeutlicht oder mit Figuren und Zeichnungen „gefühlte“ familiäre Situationen spielerisch angeschaut werden. Auch Erwachsene können beispielsweise durch Aufstellungen, Rollenwechsel und angeleitete Fantasiereisen die persönliche oder familiäre Dynamik besser begreifen. Kinder und Erwachsene können so spielerisch und intuitiv ihre eigenen Stärken (wieder-)entdecken und spüren.

Zu einem Beratungsgespräch zu kommen, bedeutet auch, sich körperlich und mental auf den Weg zu machen, um eine Veränderung „anzugehen“ – der Rahmen einer professionellen Beratung bietet einen geschützten Raum an, in dem über die persönlichen und familiären Belastungen und Muster nachgedacht und neue Wege entdeckt werden können. Für manche Menschen bedeuten diese persönlichen Gespräche eine spürbare Möglichkeit, den Kreislauf von Belastungen, Ängsten, Sorgen oder Isolation aufzuweichen.

Die Autorin ist Mitarbeiterin der Kinder-, Jugend- und Familienberatungsstelle in Rüdesheim, Am Eibinger Tor 16, Tel. 06722-407-9143, eb-r@rheingau-taunus.de.