„Sie sprechen aber gut Deutsch!“

|

Schule

Schüler der Limesschule in Idstein präsentieren beeindruckende Ergebnisse der Unterrichtsreihe „Die Würde des Menschen ist unantastbar“

Schüler der Limesschule in Idstein präsentieren beeindruckende Ergebnisse der Unterrichtsreihe „Die Würde des Menschen ist unantastbar“

Manchmal ist es ein schnell gesagter, gedankenloser Spruch im Alltag: „Sie sprechen aber gut Deutsch, sagt die Kassiererin zur Kundin mit dem Kopftuch.“ Wie soll eine solche Bemerkung interpretiert werden? Versteckt sich hinter der Aussage ein vermeintlich gut gemeintes Kompliment oder doch schon eine Form von Diskriminierung? Wo beginnt in der Alltagssprache die Benachteiligung von Mitmenschen oder Gruppen? Und was hat dies mit den Menschenrechten und vor allem mit Artikel 1 des Grundgesetzes zu tun, wonach die Würde des Menschen unantastbar ist? Welche Verbindung gibt es zu Verschwörungserzählungen, die in diesen Monaten in den Debatten über die Pandemie einen Aufwind erleben?

Drei Tage lang befassten sich Schülerinnen und Schüler der Oberstufe Q2 der Limesschule in Idstein gemeinsam mit Workshop-Leitern der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt am Main mit diesen hochaktuellen Fragen. Am Donnerstag präsentierten sie in Anwesenheit von Landrat Frank Kilian, Idsteins Bürgermeister Christian Herfurth, der Schirmherr des Schulnetzwerkes „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ an der Kooperativen Gesamtschule ist, Schulleiterin Angelika Deinhardt, Dr. Jana Jäger, der Unesco-Koordinatorin an der Schule, Martin Ginz von der Gölkel-Stiftung, die die Unterrichtseinheit finanziert, Projektentwickler Jörg Weber und den Vertretern des Programms „Demokratie leben im Rheingau-Taunus-Kreis“ und der lokalen Partnerschaft für Demokratie im Kreis von der Koordinierungs- und Fachstelle der Arbeiterwohlfahrt, Theresa Nett und Ralf Reitz, die eindrucksvollen und zum Nachdenken animierenden Ergebnisse.

„Die Unterrichtsreihe ‚Die Würde des Menschen ist unantastbar‘ und das Modul ‚Verschwörungserzählungen‘ sind im Rahmen eines von der Gölkel-Stiftung in Frankfurt finanzierten Projektes und der Bildungsstätte Anne Frank entstanden“, berichten Ginz und Weber. Die Reihe soll dabei den Lernenden sowie Lehrerinnen und Lehrern bewusstmachen, wie sie sich gegen jede Form von Diskriminierung, Gewalt, Sexismus und Mobbing wenden können, woran sie Verschwörungstheorien erkennen, um sie argumentativ zu entlarven. Dies erfordert wiederum auch eine Selbsteinschätzung, um bestimmte Situationen zu bewerten.

So stellen sich Schülerinnen und Schüler dem „Diskriminierungsbarometer“. Sie sollen Situationen im Alltag individuell einstufen, ob sie mehr oder weniger diskriminierend sind. „Kann sich jemand durch eine bestimmte Aussage persönlich angegriffen fühlen?“, fragen Andrea Micksch und Walid Malik von der Bildungsstätte. Ein Unternehmen bezahlt Männer besser als Frauen, obwohl sie die gleiche Arbeit leisten. Die Schülerinnen und Schüler wägen ab, argumentieren, hören sich Gegenmeinungen an. Für eine Schülerin steht fest: „Es handelt sich um Diskriminierung. Wir Frauen tun so viel für die Gesellschaft. Wir bringen die Babys zur Welt und müssen dafür unsere berufliche Karriere unterbrechen. Und dann werden wir benachteiligt!“ Die Teilnehmer beziehen Position, wägen ab und diskutieren auch die Situationsbeschreibung in einem Supermarkt: „Sie sprechen aber gut Deutsch, sagt die Kassiererin zur Kundin mit dem Kopftuch.“ Kontrovers und stets fair äußern die Jugendlichen ihre Meinung. Haben brasilianische Fußballer immer Samba im Blut?, wie es eine Sportmoderatorin einmal formulierte. Ein Schüler ist sich nicht sicher: „Ist diese Aussage eine ironische Bemerkung oder eine Verallgemeinerung?“

Wenn Fälle von Diskriminierung entdeckt werden, wie reagiert man auf solche Situationen? Dafür erarbeiteten die Lernenden Handlungsoptionen. „Die Opfer von Diskriminierung sollen in den Mittelpunkt gestellt werden und nicht immer die Täter“, lautet ein Aufruf. Was ein Opfer von Rassismus und Diskriminierung in einer solchen Situation fühlt, soll der oder die Betroffene offen schildern können. Für Außenstehende ist es wichtig, ein Gespräch herbeizuführen und dabei für einen Perspektivwechsel zu sorgen.

Die Unterrichtsreihe hat ihre Notwendigkeit. Schließlich ist in den letzten Jahren „Demokratie nicht mehr selbstverständlich und muss jeden Tag neu erkämpft werden“, wie es Schulleiterin Angelika Deinhardt formuliert. Dr. Jana Jäger erinnert daran, dass viele Initiativen gegen Rassismus und Diskriminierung von Seiten der Schülerschaft kamen: „Wir sind ziemlich stark!“, macht sie der Schulgemeinde ein Kompliment. Landrat Frank Kilian spricht von einer „politischen Jugendbildung“, die notwendig ist, weshalb von Seiten des Kreises die Unterrichtsreihe unterstützt wird. Auch Bürgermeister Herfurth erkennt: „Diskriminierung begegnet uns im Alltag immer öfter und in extremen Formen. Diese sprachliche Unachtsamkeit nimmt zu, was wir nicht akzeptieren und tolerieren dürfen.“ Die Gesellschaft müsse auf solche politischen Veränderungen – in Sprache wie im Veralten - im Umgang miteinander sensibel reagieren und dagegen entschieden vorgehen.

Nach der Limesschule, der kooperativen Gesamtschule mit gymnasialen Oberstufe in Idstein, wird die Unterrichtsreihe am Gymnasium Taunusstein, an den Beruflichen Schulen Untertaunus in Taunusstein, (angefragt) am Rheingau-Gymnasium in Geisenheim und der Hildegardisschule in Rüdesheim in den kommenden Jahren durchgeführt.

Foto:
Beim „Diskriminierungsbarometer“ beziehen die Schülerinnen und Schule eine Position: Empfinden sie eine Alltagssituation als diskriminierend oder eher nicht?

Beim „Diskriminierungsbarometer“ beziehen die Schülerinnen und Schule eine Position: Empfinden sie eine Alltagssituation als diskriminierend oder eher nicht?
Beim „Diskriminierungsbarometer“ beziehen die Schülerinnen und Schule eine Position: Empfinden sie eine Alltagssituation als diskriminierend oder eher nicht?