Finanzen des Kreises unter Druck: Strukturelle Unterfinanzierung bei Bundesaufgaben gefährdet Leistungen vor Ort
Finanzen
Eingebrachter Haushalt ist mit Defizit von knapp 30 Millionen Euro nicht genehmigungsfähig und bedeutet einen Nothaushalt für das gesamte Jahr / Strukturelle Unterfinanzierung durch den Bund für Pflichtaufgaben liegt für Haushalt 2025 im RTK bei über 137 Millionen Euro / Sparmaßnahmen in der Größenordnung des Defizits nicht zu leisten, weil rund 99 Prozent des Kreishaushalts Pflichtleistungen sind / Nothaushalt bedeutet, dass per Gesetz alle sogenannten freiwilligen Leistungen wie Sport- oder Wirtschaftsförderung gestrichen werden müssten
Strukturelle Unterfinanzierung und immer neue Aufgaben für die kommunale Ebene sorgen dafür, dass der Haushaltsentwurf 2025 mit einem Defizit von 29,7 Millionen Euro im Ergebnishaushalt und weiteren 36,1 Millionen Euro im Finanzhaushalt im Kreistag eingebracht werden musste und damit vermutlich nicht genehmigungsfähig ist. Ein durch das zuständige Regierungspräsidium in Darmstadt nicht genehmigter Haushalt bedeutet, dass die Kreisverwaltung für das gesamte Jahr 2025 in einer vorläufigen Haushaltsführung bleiben muss. Dies ist ein Nothaushalt, bei dem lediglich gesetzlich vorgeschriebene, vertraglich geschuldete oder für die Aufrechterhaltung des Dienstbetriebes notwendige Ausgaben getätigt werden dürfen.
Grund für das Defizit ist dabei nicht etwa schlechte Haushaltsführung des Landkreises, sondern eine dauerhafte, strukturelle Unterfinanzierung. Es fehlen im RTK rund 137 Millionen Euro, die für von der Bundesregierung festgelegte Pflichtaufgaben aus den sogenannten Sozialgesetzbüchern (SGB) nicht erstattet werden. Der Zuschussbedarf für diese Pflichtleistungen durch den Kreis haben sich seit 2020 um über 88 Prozent erhöht. Die hierfür vorgesehenen Transfer- und Schlüsselzuweisungen wuchsen jedoch nicht ansatzweise in dieser Höhe mit. Die größten Belastungsschwerpunkte liegen dabei in den pflichtigen Leistungen im sozialen Bereich. Abzüglich der Zuweisungen durch das Land fehlen im Kreishaushalt beispielsweise in der wirtschaftlichen Jugendhilfe 35,3 Millionen Euro, bei der Migration 23,2 Millionen Euro und im Jobcenter 19,4 Millionen Euro. Einsparungen sind hier nicht möglich, da die übertragenen Aufgaben wie Schutz und Unterstützung der Kinder oder die gesetzlich zugewiesene Aufgabe der Unterbringung Geflüchteter sicherzustellen sind.
Kreis- und Schulumlage müssen im Rheingau-Taunus-Kreis angepasst werden
Im eingebrachten Entwurf muss die errechnete Schulumlage um 2,63 Prozentpunkte erhöht werden, die Kreisumlage steigt um 1,5 Prozentpunkte auf 33,26 Prozent. Insgesamt ergibt sich damit eine Belastung von 57,66 Prozent für die Kreiskommunen. „Die 17 kreisangehörigen Kommunen sind bereits maximal belastet. Im Ergebnis führt die politisch vorsätzliche Unterfinanzierung der Bundesleistungen dazu, dass die gesamte kommunale Familie mit dem Rücken an der Wand steht und im Zweifel an der Steuerschraube gedreht werden muss, um die Folgen von Bundesgesetzen zu finanzieren. Das hebelt das verfassungsmäßige Recht der kommunalen Selbstverwaltung aus“, stellt sich Landrat Zehner auch gegen weitere Belastungen seiner 17 Städte und Gemeinden.
„Unter den jetzigen Rahmenbedingungen ist ein ausgeglichener Haushalt im Rheingau-Taunus-Kreis ausgeschlossen“, erklärt Landrat Sandro Zehner. „Ich habe das bereits bei der Haushaltsberatung 2024 betont: Wir haben keine Chance, die fehlenden Mittel aus eigener Kraft über die Kreisumlage oder Sparmaßnahmen zu decken. Fakt ist: Wir bekommen durch den kommunalen Finanzausgleich dieses Jahr weniger Geld, als uns angekündigt wurde. Der Bund überträgt uns mehr Aufgaben und setzt die Standards weiter hoch, ohne für eine auskömmliche Finanzausstattung zu sorgen. Die Folgekosten der Migration in Bereichen Unterkünften und Krankheitskosten sind nicht ansatzweise gegenfinanziert. Völlig ausgeblendet werden die mittelbaren Belastungen hieraus für das Schul- und Kitasystem sowie fachliche Bedarfe der Jugendpflege bei teils schwer traumatisierten Kindern. Wir können ohne auskömmliche Gegenfinanzierung das Integrationsversprechen des Bundes vor Ort nicht mehr erfüllen. Wir laufen zudem in ein Haushaltsdesaster hinein, bei dem wir kaum Gestaltungsspielraum haben und freiwillige sowie pflichtige Leistungen wider besseres Wissens nicht mehr erbringen können.“
Die aus dieser strukturellen Unterfinanzierung entstandene Situation ist keine hausgemachte des Rheingau-Taunus-Kreises. Diese Finanzkrise der kommunalen Haushalte ist ein bundesweites Phänomen. Laut den kommunalen Spitzenverbänden ist das Defizit der kommunalen Ebene bundesweit mit 2,6 Milliarden Euro so hoch wie nie und es gebe „viele Risiken auf eine schlechtere Entwicklung, aber wenig Chancen auf eine bessere Entwicklung“. Auch für den Rheingau-Taunus-Kreis wird sich die Finanzsituation aller Voraussicht in den kommenden Jahren nicht verbessern, im Gegenteil. Die Verbindlichkeiten werden über die Zinsaufwände das Defizit weiter erhöhen.
„Wir brauchen ein neues System, das die kommunale Finanzierung vom Kopf auf die Füße stellt“, fordert Landrat Sandro Zehner. „Wir brauchen echte Konnexität auch auf der Bundesebene - wer bestellt, bezahlt. Wir müssen runter von den Standards, die uns innerhalb von wenigen Jahren sonst in millionenschwere Schulden reißen. Und wenn ich von ‚uns‘ spreche, meine ich nicht nur den Rheingau-Taunus-Kreis. Der Bund ist in der vorläufigen Haushaltsführung. Das Land Hessen hat nur mit großer Kraftanstrengung die Genehmigungsfähigkeit erreicht. Wir brauchen einen neuen Sinn für die Realität unserer Zeit und eine neue Wahrhaftigkeit miteinander in der politischen und in der gesellschaftlichen Debatte. Wenn uns das nicht gelingt, werden wir in den nächsten Jahren ein noch viel größeres Defizit beklagen müssen, trotz aller Anstrengungen – zulasten der nachfolgenden Generationen.“
Die Finanzsituation der hessischen Landkreise weist wieder flächendeckende defizitäre Ergebnisse auf, wie auch die neu gewählte Präsidentin des Hessischen Landkreistages bei der Veröffentlichung der Wiesbadener Erklärung im November bestätigt und warnt, dass: „...trotz Rekordsteuereinnahmen die zunehmende Aufgabenflut der Landkreise nicht zu finanzieren ist und trotz eines fehlenden gesamtwirtschaftlichen Wachstums weiterhin Aufgaben auf die Kommunen übertragen und Leistungsansprüche des Staates ausgeweitet werden.“
Freiwillige Leistungen der Kreisverwaltung müssten vollständig gestrichen werden
Die vorläufige Haushaltsführung hat außerdem massive Auswirkungen auf freiwillige Leistungen des Landkreises. Diese wären durch entsprechende gesetzliche Vorgaben automatisch gesperrt.
Förderprojekte und Zuschüsse, die sozialen Einrichtungen oder dem Ehrenamt zugutekommen, sind nicht mehr möglich. Diese freiwilligen Leistungen sind im Haushalt des RTK mit rund 4,9 Millionen Euro angesetzt. Das sind nur 1,02 Prozent des gesamten Haushaltsplans – trotzdem gibt es hier keinerlei Spielraum. Dadurch ist de facto die kommunale Selbstverwaltung ausgehebelt.
„Hierzu darf es nicht kommen. Diese Mittel nicht auszuzahlen geht gegen all meine Überzeugungen und in der Sache weit an den tatsächlichen Bedarfen vor Ort vorbei. Denn diese Kürzungen werden unseren Haushalt nicht retten, gleichzeitig entziehen wir gerade ehrenamtlich getragenen Stützen der Gesellschaft vor Ort wie den Vereinen oder den Tafeln jene Mittel, die diese Akteure dringend zum Überleben benötigen“, erläutert Landrat Sandro Zehner und ergänzt: „Wir sprechen nicht mehr über die Frage, was sinnvoll für diese Region ist und was wir heute tun müssen, um Mehrkosten in der Zukunft zu verhindern. Wir sind damit lediglich zur Abwicklung pflichtiger Aufgaben degradiert.“ Zehner appelliert an die Geschlossenheit in der Region, die mit der Resolution im Frühjahr auch öffentlich besiegelt wurde.
Sofortmaßnahmen innerhalb der Kreisverwaltung werden umgesetzt
Nachdem eine Genehmigungsfähigkeit des Haushaltes nach Gesprächen, mit dem Regierungspräsidium Darmstadt bei diesen Defiziten ausgeschlossen ist, ist im Kreishaus ein Krisenstab unter der Leitung des Landrats gebildet worden. Ziel: die wohl größte Krise, die der Rheingau-Taunus-Kreis bislang erlebt hat, bestmöglich zu managen. Alle Investitionen, die für 2024 und 2025 geplant waren, sind zunächst gestoppt worden. Landrat Sandro Zehner hat angeordnet, dass alle Ausgaben bis ins Detail geprüft werden. Außerdem wird geprüft, welche pflichtigen Themen noch in welcher Weise fortgeführt werden können. Dass angesichts des Defizits auch bei Pflichtaufgaben priorisiert werden muss, scheint sicher. Wie genau das ausgestaltet sein wird, werde in den nächsten Monaten mit dem Regierungspräsidium und dem Innenministerium beraten. Diese Situation sei zu groß und zu dramatisch, um ihr alleine zu begegnen, so der Landrat.
Nach der Einbringung des Haushaltes durch den Landrat im Kreistag beginnen die Beratungen in den Fraktionen und Ausschüssen. Geplant ist der Beschluss des Haushaltes in der Sitzung des Kreistages am 24. Februar 2025.