„Es gibt nicht das Allheil­mittel, sondern allenfalls einen Instrumentenmix“

|

Kreisentwicklung

Landrat Kilian: Wohnungs­markt im Kreisgebiet steht unter großem Druck / Prof. Dr. Spar­wasser spricht auch heikle Maßnahmen an / Ressen­timents gegen sozialen Wohnungsbau

Landrat Kilian: Wohnungsmarkt im Kreisgebiet steht unter großem Druck / Prof. Dr. Sparwasser spricht auch heikle Maßnahmen an / Ressentiments gegen sozialen Wohnungsbau

Etwa 4.000 Wohnungen fehlen aktuell im Kreisgebiet mit seinen 17 Kommunen, sagt Landrat Frank Kilian. Bis 2040 könnte der Fehlbedarf sogar auf 11.200 Wohnungen anwachsen. Der Wohnungsmarkt steht unter einem großen Druck, die Mieten „schießen“ ebenso wie die Kaufpreise für Immobilien „durch die Decke“, wie es ein Teilnehmer nannte. In den Städten und Gemeinde sind kaum noch Grundstücke für den Wohnungsbau vorhanden. Ein Handlungsbedarf ist vorhanden und so ließ Kilian im Frühjahr eine Strategie zur Schaffung preisgünstigen Wohnraums erstellen, die von Kreisentwicklerin Yvonne Grein vorgestellt wurde. In deren Fortführung stellte Prof. Dr. Reinhard Sparwasser, Anwalt und Experte für öffentliches Verwaltungs- und Baurecht in Freiburg, seinen „Instrumentenkoffer“ mit Maßnahmen vor, wie preisgünstiger Wohnraum geschaffen werden kann. Dabei schreckte Sparwasser auch nicht vor „heiklen Maßnahmen“ nicht zurück und stellte gleich fest: „Es gibt nicht das Allheilmittel, sondern allenfalls einen Instrumentenmix!“ Was er unter „Instrumenten“ versteht, erläuterte er an diesem Abend.

Sparwasser rät vor den politischen Entscheidern aus den Kommunen zum Ankauf von Flächen, die dann zu Neubaugebieten werden, schlägt Freiflächenkataster vor, die darlegen, wo es in einer Stadt freie, unbebaute Grundstücke gibt. „Sie finden dann viele Grundstücke, die bebaut werden können; die Eigentümer dies aber gar nicht beabsichtigen“, prophezeit er, um dann dazu auffordern: „In solchen Fällen kann der Paragraf zum Baugebot im Baugesetzbuch hilfreich sein.“ Durch diesen Paragraf können Gemeinden einen Eigentümer eines Grundstückes durch Bescheid verpflichten, innerhalb einer zu bestimmenden angemessenen Frist sein Grundstück entsprechend den Festsetzungen des Bebauungsplans zu bebauen.

Ein Instrument, das mittlerweile von vielen Kommunen eingesetzt wird und noch vor einer durchaus „heikleren Maßnahme“ stehen könnte: Prof. Dr. Sparwasser: „Wie groß muss die Wohnungsnot noch werden, um nicht eine Enteignung in bestimmten Fällen durchsetzen zu können?“, fragt der Anwalt. Wer ein bebaubares Grundstück zur Verfügung habe, der solle auch Wohnraum schaffen. Gleiches gilt für Prof. Dr. Reinhard Sparwasser auch bei der Zweckentfremdung von Wohnraum: „Viele Wohnungen werden zu Büros oder Geschäftsträumen, beziehungsweise als Ferienwohnungen genutzt, um viel Geld zu verdienen.“ Baden-Württemberg verfügt über eine Zweckentfremdungsverordnung, um solchen Umwidmungen Einhalt zu gebieten; Hessen nicht. „In Baden-Württemberg sind alleine in einer Stadt rund 500 Ferienwohnungen zurück auf den öffentlichen Wohnungsmarkt.“ Diese Instrumente sollten als Mix Anwendung finden, betonte auch Landrat Kilian, um neuen Wohnraum zu schaffen.

Dass Deutschland kurzfristig wieder zu seiner alten „Tradition des sozialen Wohnungsbaus“ zurückfindet, sieht der Freiburger Anwalt nicht und stimmt mit dieser Einschätzung mit den weiteren Referenten Axel Wilz, Bauamtsleiter in Idstein und dem Geschäftsführer der Kommunalen Wohnungsbau (kwb), Ditmar Joest, überein. Es fänden sich kaum noch Bauträger in der Region, die wegen der fehlenden Förderung einen sozialen Wohnungsbau durchführen wollen, so Wilz, der über das Stadtentwicklungskonzept in Idstein vorstellte. „Es gibt sogar Ressentiments gegen den öffentlich geförderten Wohnungsbau“, betonte der Idsteiner Bauamtsleiter. Länder wie Österreich und Holland hätten sich dagegen „eine Kultur des sozialen Wohnungsbaus“ bewahrt.

Wilz kritisierte in diesem Zusammenhang auch das Land Hessen. „2004/05 gab es in Idstein Grundstücke mit sozialer Bindung, die für den öffentlich geförderten Wohnungsbau vorgesehen waren. Das Land hat wegen eines Wahrnehmungsfehlers diese Fläche aus der Bindung herausgenommen. Heute könnten wir dieses Areal gebrauchen“, so Wilz. Um neue Flächen für den Wohnungsbau zu erwerben, schwebt Axel Wilz die Gründung einer städtebaulichen Entwicklungsgesellschaft vor, um somit auch die Baulandentwicklung vorantreiben zu können.

Modulares Bauen als Allheilmittel zu sehen, davor warnte Ditmar Joest, obwohl die kwb derzeit Häuser in dieser Bauweise in Idstein erstellen lässt. Auch wenn in dieser Form gebaut wird, muss der Bauträger laut Ditmar Joest mit stetig steigenden Baulandpreisen und Baunebenkosten kalkulieren, die mittlerweile zu den Kostentreibern zählen. Hinzu käme die lange Zeit von etwa 50 Monaten von der Projektierung bis zum Baubeginn. „Danach geht es schnell, wird in vier Tagen das Haus aufgebaut“, so der Geschäftsführer. Modulares Bauen ist ein Bauverfahren, bei dem überwiegend im Hoch-, aber auch im Tiefbau Teile des Bauwerkes wie etwa die Fassade aus vorgefertigten Bestandteilen, den Modulen, nach dem Baukasten-Prinzip zusammengesetzt werden. Die Außenwände und die Raumausstattung werden also nicht mehr vor Ort hergestellt, sondern dort nur noch montiert.

Nach ihren Vorträgen stellten sich Prof. Dr. Reinhard Sparwasser, Kreisentwicklerin Yvonne Grein, der Idsteiner Bauamtsleiter Axel Wilz und kwb-Geschäftsführer Ditmar Joest (von rechts) den Fragen der Anwesenden.